Gerhard Charles Rump

Zu Grützke

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Schloss Bonndorf 5.7.2009

Es gilt das gesprochene Wort!

Einst war er einer, aber heute ist er kein Theaternarr ist mehr. Zu viele Enttäuschungen hat Johannes Grützke da erlebt. Noch in den 80ern arbeitete er für Peter Zadek. Dem Bühnenbild hat Grützke, der bereits als Kunststudent nebenher Kulissen schob, mittlerweile aber auch abgeschworen. Schließlich habe auch die Malerei mit Bühne zu tun: „Darunter leide ich. Alles, was man malt, zeigt sich so“.

Vor gut 30 Jahren hat er mit Matthias Koeppel und Manfred Bluth die „Schule der Neuen Prächtigkeit“ gegründet und damals, im gleichen Berliner Atelier, in dem er heute noch arbeitet, erfand man zusammen das „Starckdeutsch“, was der Kollege Koeppel dann verbreitete.

Den Begriff „Kunst“ versucht Johannes Grützke mittlerweile abzuschaffen. In seinen „Sieben Pamphleten“, deren erste Lesung am 9. März 2000 in Berlin stattfand. In seiner Malerei, so sagt er, gehe nur um Wahrhaftigkeit. „Wenn ich male, will ich etwas wissen und nichts verkünden. Ich will mich selbst überraschen. Mann kann sich nichts ausdenken. Wer sich nicht von der Natur entzünden lässt, erfährt nichts. Er erfährt nur, was in seinem Hirn schon drin ist und da kommt dann ein ganz gewöhnliches Vorurteil raus.“

Ein Vorurteil ist alles ohne Natur. Eine tiefe Einsicht. Wenn man sich darauf stützt, kann man ein wenig provokant sein und sagen, dass Johannes Grützkes Bilder, die gern mit dem schmückenden Beiwort „grotesk“ versehen werden, alles andere sind als grotesk. Und dass er, der Maler, alles andere ist als der Schalksnarr, als der er gern bezeichnet wird.

Wenn man sich eines seiner Hauptwerke, betitelt „Der Kaktus“, anschaut, auf dem einige Philosophen zu sehen sind, die einen Kaktus präsentieren, dann mag man wohl einige eigenartige Posen entdecken, die aber jemandem, der sich auch nur einmal in einem universitären Umfeld bewegt hat sehr wohl bekannt sind. Und dass philosophische Weisheiten nicht immer elegant und schön daherkommen, sondern sperrig und stachelig und widerborstig wie ein Kaktus, kann leicht eingesehen werden. Ei der Daus, Grützke ist also Realist. Vielleicht sogar, wenigstens teilweise, einer wie der gute alte Menzel, der gelegentlich auch solch schräge Blickwinkel wiedergab wie Johannes Grützke sie liebt, etwa wenn Menzel den Anblick seiner eigenen Hand von oben gesehen und den Farbtopf haltend, auf die Leinwand brachte.

Sei’s drum. Johannes Grützke ist, wer wollte es in Zweifel ziehen, ein figürlicher Maler. Das war Picasso übrigens auch. Und Grützke steht damit in einer hochnoblen Tradition der Kunst, ohne ein Traditionalist zu sein. Johannes Grützke ist auch ein Realist, wie gesagt, denn er malt überwiegend das, was um ihn herum ist, um ihn herum geschieht. Was nicht ausschließt, dass er auch malt, was nicht nur um ihn herum, sondern tief in ihm drinnen vorgeht. Das hat der vorgebliche Reinwasser-Realist Courbet schließlich auch getan.

Das heißt alles sehr viel, weil es Grützke einordnet. Typisch Kunsthistorikertum, zu dem Grützke selbst gesagt hat: Wenn der Kunsthistoriker morgens aufsteht, sieht der die Kunst, der Künstler aber das Leben. Und so bedeutet diese Einordnung allerdings auch wieder sehr wenig bis beinahe fast gar nichts, weil sie die Eigenart Grützkes nicht fassen kann.

Das zu tun, dazu drängen uns seine Bilder aber in der Tat. Jedes Einzelne, und das immer wieder. Glücklich sollten wir uns schätzen, dass die Bilder von Johannes Grützke derart ihre Faszination behalten. Sie ändern sich physisch nicht, aber wir ändern uns mit den Zeiten, auch das ist eine alte, aber auch eine „ewige“ Weisheit.

Schluss nun mit der Provokation, die dennoch tief gefühlt und ernst gemeint war. Johannes Grützke ist wohl ein existenziell ironischer Mensch. Und damit verkörpert er die Moderne, wenigstens im Sinne von Hans Robert Jauss (1921–1997), der von der „ironischen Identifikation“ in der Moderne gesprochen hat, und dessen Antrittsvorlesung an der Universität Konstanz im Jahr 1967, nebenbei bemerkt, „Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft“ hieß. Jauss hat stets die Seite des Lesers betont, also die dialogischen Erfahrungen der jeweiligen Leser mit dem Text, die das gleiche Werk aufgrund des geschichtlichen Wandels vor allem auch ihres eigenen Vorverständnisses, dem Erwartungshorizont, immer wieder anders lesen, neuen Sinn nicht finden, sondern verstehend herstellen. Die Vorstellung eines im Text enthaltenen, eindeutig bestimmbaren Sinns wird vor diesem Hintergrund unhaltbar.

Diese neue Sinnfindung geschieht auch bei Texten, die gemalt sind, denn Malerei ist ein symbolisches System, ein Verweissystem, und gehört daher zu den Manifestationen von Sprache. Und so überlagern sich hier, wie in der Literatur, verschiedene Zustände. Der Betrachter findet nur, wenn er sucht, und findet spezifische Antworten nur bei spezifischen Fragestellungen. Und dazu muss er in die Bilder hinein, wie der Physiker, der wissen will, ob die Katze in der Kiste tot ist oder lebt.

Und hier greift dann die ironische Identifikation: Was einstmals ungebrochen aufgenommen wurde, kann man seit dem Beginn der Moderne nur noch mit Brechungen verarbeiten, zu tiefgreifend sind die erfahrenen Wandlungen der Anschauungen. Und das gilt ja auch für den Maler selbst. Und wer versucht, diese hermeneutische Distanz aufzuheben, so wie Mel Gibson es wohl in seinem Film „The passion of the Christ“ getan hat, erntet Missvergnügen und Unbehagen. Wenn nicht mehr.

Natürlich kommt uns bei Grützke in den Bildern so einiges komisch vor. Das gehört zu dem, was der Künstler nach dem Aufwachen sieht, zum Leben nämlich. Aber es ist eine heiter gelöste Komik und gelegentlich Absurdität. Sie erinnert, wenn schon, eher an Capricci von Tiepolo als an die traurige existenzialistische Absurdität von König Ubu oder Godot. Es ist aber auch nicht nur der Tanz auf dem Vulkan, den wir ohnehin täglich fleißigst üben, so moralisch mag Grützke gar nicht sein. Denn Johannes Grützke ist vor allem: Maler.

Wir sollten uns Grützke nämlich auch vor allem von dieser Seite her, der ästhetischen, nähern. Hier enden in jedem Bild mehrere Regenbogen in den sagenhaften Töpfen Goldes. Schätze, die wir, im Gegensatz zur Realität, jedoch auch heben können. Und, verfolgen wir die Pinselstriche und ihre raffinierte Art, wie sie, ohne sich selbst zu verleugnen, zu Zeichen sich fügen, die wir dann wieder intellektuell lesen können, dann verstehen wir nicht nur Grützke, sondern auch, was Malerei überhaupt ist.

Und schließlich müssen wir dann doch auch eingestehen, dass wir uns, selbst im Kleinen, in einem Ringen mit Bildern von Wucht und Kraft wiederfinden. Bilder, die oft den Künstler selbst zeigen, nicht nur als Interpretation des Künstlerdaseins durch eigene Hand, nein auch als alter ego, als Spiegelbild unserer Existenz. Manchmal nähert dieses Bild sich dem eines Zerrspiegels, das ist schon richtig, nur ist es auch als Methode zu verstehen, auf bestimmte Weise Dinge zu verdeutlichen, Sachverhalte zu klären, ästhetisches Erleben zu ermöglichen.

Und es ist immer wieder die malerische Ästhetik, die zum Tragen kommt. So wie banal wirkende Themen und Vorgänge zu etwas Besonderem werden, wenn man sie in Reim und Rhythmus fasst, so geschieht ein gleiches, wenn Johannes Grützke ein ausgestopftes Tier malt. Gerade wie ein Teelöffel Zucker die bittere Medizin schmackhaft macht, ist es die Kultur des genialischen Pinsels, die uns die Bilder von Johannes Grützke lieben lässt. Also lieben wir, also leben wir.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors